04116 Wertketten anwenden
In ITIL4 werden Wertketten als Werkzeug zur Erzeugung von Wertschöpfung eingeführt. Zugleich wurde der bisherige heilige Gral, die Prozessorganisation, als überholt deklariert und aufgelöst. Übrig bleiben Praktiken und Wertketten.
Der Grund für die Umbenennung von Prozessen in Praktiken erschließt sich nicht. Das neue eingeführte Modell der Wertketten wird wortreich umschrieben, aber weder methodisch aufgearbeitet noch in das ITIL-System integriert.
In diesem Beitrag wird versucht, den in ITIL4 verlorengegangenen Gesamtzusammenhang wiederherzustellen. Der methodische Hintergrund zur Gestaltung von Wertkettenmodellen wird dargelegt, um daraus praktikable Ansätze zur Planung und Erzeugung von Wertschöpfung ableiten zu können. von: |
1 Schlüsselkonzepte von ITIL
Entwicklungsstufen
Die ersten ITIL-Versionen, die ab 1989 veröffentlicht wurden, bestanden aus einer Zusammenstellung von zehn Prozessen, die in der zweiten Edition in die Bereiche „Service Support” (operative Ausrichtung) und „Service Delivery” (strategisch-taktische Ausrichtung) gegliedert waren.
Die ersten ITIL-Versionen, die ab 1989 veröffentlicht wurden, bestanden aus einer Zusammenstellung von zehn Prozessen, die in der zweiten Edition in die Bereiche „Service Support” (operative Ausrichtung) und „Service Delivery” (strategisch-taktische Ausrichtung) gegliedert waren.
In der dritten Version, der ITIL-Edition 2011, wuchs die Zahl der Prozesse von 10 auf 27 an, die in fünf Lebenszyklusphasen gruppiert waren:
• | Service Strategy |
• | Service Design |
• | Service Transition |
• | Service Operation |
• | Continual Service Improvement |
Die aktuelle ITIL-Version 4, seit 2020 am Markt, ist in Kategorien der Ablaufsteuerung gegliedert in:
• | plan |
• | improve |
• | engage |
• | design and transition |
• | obtain/build |
• | deliver and support |
Aber im Gegensatz zu früher handelt es sich nicht um reine Ordnungsbegriffe, sondern um Wertkettenelemente, die, zu Wertströmen (Value Streams) zusammengestellt, Wertschöpfung erzeugen. Zusätzlich wird als übergeordnetes Steuerungssystem ein „Service Value System” (SVS) definiert.
In der ITIL-Publikation „Direct, Plan and Improve” [1] (7-2-2) wird selbstbewusst konstatiert:
„ITIL is not process-oriented: it addresses the value in strategy.”
Die bisherigen Managementprozesse werden in dieser ITIL-Version negiert. Man erwähnt sie nun allenfalls noch als Praktiken. Nachdem sich mittlerweile alle größeren IT-Organisationen dieser Welt nach den ITIL-Prozessen strukturiert haben, nachdem sich alle regulatorischen Regelwerke für IT-Organisationen an den ITIL-Prozessen orientieren, nachdem alle Hersteller von IT-Service-Management-Anwendungen die Workflow-Steuerung an den ITIL-Prozessen ausgerichtet haben, ist ITIL nun also nicht mehr prozessorientiert. Meinen allerherzlichsten Glückwunsch an die Autoren: Sie haben diesem Standard einen Bärendienst par excellence erwiesen.
Disruption ist kein Wert an sich. Disruption wird angewandt, um verkrustete, eingefahrene Denkmuster aufzubrechen, damit der Blick auf neue Initiativen gelenkt werden kann. SCRUM oder DevOps waren solch disruptive Ansätze. Im Gegensatz zu ITIL wurden dort bestehende Strukturen aber nicht einfach nur infrage gestellt, sondern alternative Arbeitsmethoden eingeführt. Disruption ohne das Aufzeigen von Alternativen wirkt zerstörerisch und ist kontraproduktiv.
Nun kann man einwenden, dass ITIL mit dem Wertstrommodell besagte Alternative anbietet. Tatsächlich wird dieses Modell in drei der vier Kernpublikationen wortreich über viele Seiten umschrieben. Leider handelt es sich nahezu ausnahmslos um mühsam aus den Fingern gesaugte Gemeinplätze. Belastbare Umsetzungspraktiken zur Gestaltung des vielbeschworenen „Values” mit seinen Value-Streams, Value-Chains und dem übergeordneten Service-Value-System sucht man vergeblich.
Dass es auch anders geht, will ich in diesem Artikel anhand der Publikationen von Michael E. Porter zeigen [2] [3] . Dieser Autor hat in den 1980iger-Jahren das Wertkettenmodell eingeführt und daraus für Unternehmen Wettbewerbsstrategien abgeleitet. Die Ausführungen sind methodisch fundiert und sehr praxisnah. Die Publikationen gelten auch heute noch als die Standardwerke für Wertschöpfungsmodelle. Sie werden an den Universitäten noch immer gelehrt.
Bevor wir uns mit dem Thema befassen, möchte ich zunächst in Wiederholung dessen, was wir in den letzten 35 ITIL-Jahren gelernt haben, elementare Begrifflichkeiten noch einmal klarstellen.
Im Werk ”Direct, Plan and Improve" [1] . heißt es:
„Almost any set of interrelated activities that transform inputs into outputs could be considered as process. Value streams, however, focus around the flow of activity from demand or opportunity to value.”
Outcome versus Value
Das ist eine seltsame Aussage. Hatten wir in der ITIL-Edition 2011 nicht gelernt, dass Prozesse nicht nur Outputs, sondern auch Outcomes generieren? Und waren Outcomes nicht wertschöpfende Ergebnisse? Und war der Prozess Demand-Management nicht bereits hauptamtlich mit der Ermittlung von „demands or opportunities” befasst?
Das ist eine seltsame Aussage. Hatten wir in der ITIL-Edition 2011 nicht gelernt, dass Prozesse nicht nur Outputs, sondern auch Outcomes generieren? Und waren Outcomes nicht wertschöpfende Ergebnisse? Und war der Prozess Demand-Management nicht bereits hauptamtlich mit der Ermittlung von „demands or opportunities” befasst?
Steuerungsprozess
Dass Prozesse nun plötzlich Praktiken sein sollen, ist genauso seltsam. ITIL-Prozesse waren doch immer Steuerungsprozesse („Management” bedeutet „Steuerung”). Steuerungsprozesse geben keine determinierten Abläufe, sondern lediglich einen Handlungsrahmen (Leitplanken) vor.
Dass Prozesse nun plötzlich Praktiken sein sollen, ist genauso seltsam. ITIL-Prozesse waren doch immer Steuerungsprozesse („Management” bedeutet „Steuerung”). Steuerungsprozesse geben keine determinierten Abläufe, sondern lediglich einen Handlungsrahmen (Leitplanken) vor.
Prozessphasen
Prozesse sind in Prozessphasen (Teilprozesse) gegliedert. Jede Prozessphase endet mit einem Statuseintrag, über den der Prozessfortschritt kontrolliert werden kann. Prozessphasen sind Wertaktivitäten, über deren Zusammenschaltung die gewünschte Wertschöpfung realisiert wird.
Prozesse sind in Prozessphasen (Teilprozesse) gegliedert. Jede Prozessphase endet mit einem Statuseintrag, über den der Prozessfortschritt kontrolliert werden kann. Prozessphasen sind Wertaktivitäten, über deren Zusammenschaltung die gewünschte Wertschöpfung realisiert wird.
Ein Beispiel ist die Freigabe-Phase im Prozess Change-Management: Die Implementierungsfreigabe wird nur gewährt, wenn ein vom Auftraggeber des Change unterzeichnetes Testprotokoll vorliegt und ein Rückfallplan existiert. Der Rückfallplan beantwortet die Frage: Wie komme ich beim Scheitern des Rollouts wieder zu einer funktionierenden Produktivumgebung zurück? Die Freigabe-Phase ist also ein Quality-Gate und erzeugt Wert.
Prozessaktivitäten
Prozessphasen haben Aktivitäten, die bei Ausführung der übergeordneten Phase durchlaufen werden. Da die Prozessphasen Wertaktivitäten sind, stellen die Prozessaktivitäten die Einzelschritte der übergeordneten Wertaktivitäten dar. Die Prozessphasen generieren „Outcomes”, also Wert, die Prozessaktivitäten erzeugen „Outputs”, also Ergebnisobjekte.
Prozessphasen haben Aktivitäten, die bei Ausführung der übergeordneten Phase durchlaufen werden. Da die Prozessphasen Wertaktivitäten sind, stellen die Prozessaktivitäten die Einzelschritte der übergeordneten Wertaktivitäten dar. Die Prozessphasen generieren „Outcomes”, also Wert, die Prozessaktivitäten erzeugen „Outputs”, also Ergebnisobjekte.
Die Aktivitätenebene der Freigabe-Phase im Change-Management ist in Abbildung 1 beispielhaft modelliert. Oftmals sind die Inhalte der Prozessphasen sehr viel komplexer. Sie enthalten dann mehrere Aktivitäten, die seriell oder parallel durchlaufen werden und in Abhängigkeit zueinanderstehen. Aktivitäten können nur ausgeführt werden, wenn die erforderlichen Ressourcen (Inputs) vorhanden sind. Sie generieren Outputs, die von nachfolgenden Aktivitäten wieder als Eingangsgrößen benötigt werden.
Abb. 1: Aktivitäten der Freigabe-Phase
Prozedur
Die Definition der ITIL-Managementprozesse endet auf der Ebene der Prozessaktivitäten. Die Umsetzung der vorgesehenen Aufgaben erfolgt außerhalb der Managementprozesse anhand von Prozeduren (andere Begriffe dafür sind Workflow oder Arbeitsablauf). Prozeduren können frei gestaltet werden, sofern sie sich an die regulatorischen und Qualitätsvorgaben der Prozesse und Prozessaktivitäten halten sowie die geforderten Outcomes erzeugen. Je nach Organisationseinheit oder Typ eines Konfigurationselements können unterschiedliche Workflows eingesetzt werden, die dieselbe Prozessaktivität unterstützen. So werden Test- und Rückfallpläne für Netzwerksysteme nach ganz anderen Kriterien gebildet als für Server, Anwendungen oder Anlagen. Die Organisationseinheiten haben also Freiheitsgrade in der Gestaltung ihrer Arbeitsabläufe.
Die Definition der ITIL-Managementprozesse endet auf der Ebene der Prozessaktivitäten. Die Umsetzung der vorgesehenen Aufgaben erfolgt außerhalb der Managementprozesse anhand von Prozeduren (andere Begriffe dafür sind Workflow oder Arbeitsablauf). Prozeduren können frei gestaltet werden, sofern sie sich an die regulatorischen und Qualitätsvorgaben der Prozesse und Prozessaktivitäten halten sowie die geforderten Outcomes erzeugen. Je nach Organisationseinheit oder Typ eines Konfigurationselements können unterschiedliche Workflows eingesetzt werden, die dieselbe Prozessaktivität unterstützen. So werden Test- und Rückfallpläne für Netzwerksysteme nach ganz anderen Kriterien gebildet als für Server, Anwendungen oder Anlagen. Die Organisationseinheiten haben also Freiheitsgrade in der Gestaltung ihrer Arbeitsabläufe.
Tool-Integration
Prozeduren werden so weit konkretisiert, dass ihre Ablaufsteuerung in Workflow-Engines verbaut werden kann. In der Regel dienen Statusveränderungen als Steuerungsinstrument für den Arbeitsfortschritt. Die Tasks einer Prozedur können sich, wie gesagt, je nach Organisationseinheit oder Komponententyp unterscheiden.
Prozeduren werden so weit konkretisiert, dass ihre Ablaufsteuerung in Workflow-Engines verbaut werden kann. In der Regel dienen Statusveränderungen als Steuerungsinstrument für den Arbeitsfortschritt. Die Tasks einer Prozedur können sich, wie gesagt, je nach Organisationseinheit oder Komponententyp unterscheiden.
High-Velocity IT (HVIT)
Zu diesem Thema gibt es eine gleichnamige ITIL-Publikation. Hochgeschwindigkeits-IT erreicht man durch Digitalisierung der Wertketten. Je höher der Automatisierungsgrad, desto konstanter sind die Ergebnisqualität und damit die Wertschöpfung. Es wirkt etwas befremdlich, wenn in dieser Publikation (2-6-4) Value-Streams so beschrieben werden:
Zu diesem Thema gibt es eine gleichnamige ITIL-Publikation. Hochgeschwindigkeits-IT erreicht man durch Digitalisierung der Wertketten. Je höher der Automatisierungsgrad, desto konstanter sind die Ergebnisqualität und damit die Wertschöpfung. Es wirkt etwas befremdlich, wenn in dieser Publikation (2-6-4) Value-Streams so beschrieben werden:
„In HVIT environments, systems are often complex and therefore unpredictable. This makes it less likely that detailed processes, procedures, and work instructions will be useful, as they often will not be followed. It is also not useful or feasible to predict or dictate the sequence of steps in a value stream…”