-- WEBONDISK OK --

06345 Outsourcing von IT-Dienstleistungen – Verträge richtig gestalten

Die Erstellung von Serviceverträgen ist eine regelmäßige Aufgabe für IT-Outsourcing-Anbieter. Mangels adäquater Standards oder konkreter Best Practices geschieht dies jedoch üblicherweise höchst individuell und oft mit unzureichendem Blick auf das Gesamtbild der Verträge eines Unternehmens. In diesem Beitrag skizzieren wir diese Problematik, leiten Anforderungen an Serviceverträge ab und stellen auf dieser Basis konkrete Lösungsansätze dar, die Unternehmen helfen, ihre Verträge inhaltlich, strukturell und prozessual so zu gestalten, dass Organisationseffizienz, juristische Unbedenklichkeit und letztendlich auch Kundenzufriedenheit nach Möglichkeit gewährleistet werden.
von:

1 Status quo bei der Vertragsgestaltung

Es liegt in der Natur ihrer Geschäftsbeziehung, dass IT-Service-Provider regelmäßig Serviceverträge mit ihren Kunden aushandeln und abschließen müssen. Erfahrungsgemäß werden Vorgehen und Inhalt bei einer solchen Vertragsgestaltung häufig für den Einzelfall neu abgestimmt. Grundsätzlich existieren derzeit keine adäquaten Standards und auch die Verwendung von Best Practices wie der ITIL bietet aufgrund der großen „Flughöhe” keinen nennenswerten Mehrwert für die konkrete Ausgestaltung von Vertragsstrukturen. Ausnahmen mag es teilweise mit den EVB-IT-Verträgen in der öffentlichen Verwaltung geben. Die Erstellung von Serviceverträgen basiert daher häufig auf eigenen Erfahrungen oder auf Empfehlungen von Beratungshäusern und IT-Anwaltskanzleien. Dies wiederum führt dazu, dass am Markt eine große Vielfalt an Servicevertragsstrukturen existiert.
Probleme aufgrund fehlender Standards
Zwar führt die Einzelverhandlung zwischen zwei Parteien oft kurzfristig zu zufriedenstellenden Ergebnissen in Bezug auf die konkrete Verhandlung. In einer globalen Betrachtung über alle Verträge eines IT-Service-Providers mit seinen Kunden (oder einer internen IT mit ihren IT-Service-Providern) eröffnen sich jedoch diverse Problemfelder, von denen wir die unserer Erfahrung nach wichtigsten kurz skizzieren:
Oftmals entstehen unnötig lange Dokumente, da unzureichend auf entsprechende Rahmendokumente verwiesen wird. Die langen Dokumente verursachen unnötigen Verwaltungsaufwand bei der Erstellung und Pflege und belasten Mitarbeiter über Gebühr, die darin nach relevanten Informationen für den Betrieb suchen.
Die Leistungsbeschreibungen sind unklar und nicht ausreichend differenziert, weil diese für den Einzelfall – möglicherweise auf der Basis einer Vorlage, die „gerade zur Hand” war – erzeugt wurden und man keine gründlich erarbeitete, bewährte Leistungsbeschreibung zugrunde legt, in der man auch die nicht naheliegenden Fälle ausreichend berücksichtigt hat. Häufig werden auf diese Weise seltene Tätigkeiten oder besondere Situationen im Kontext der Leistungserbringung vergessen. Dies führt zu Diskussionen und Unstimmigkeiten zwischen den Vertragspartnern, wenn die nicht geregelten Situationen eintreten. Im Streitfall zeigt sich dann außerdem häufig, dass die so erstellten Verträge einer juristischen Prüfung nicht standhalten.
Die verwendeten Begriffe aus verschiedenen Serviceverträgen stimmen nicht überein. Ein markantes Beispiel aus unserer Erfahrung ist der Begriff „Servicezeit”, der sowohl von IT-Service-Providern als auch von der internen IT gerne auf verschiedene, teilweise gegensätzliche Weise definiert wird. So bezeichnet der Begriff einmal die Zeit, in der der Service-Desk verfügbar ist, ein anderes Mal die Zeit, in der lediglich der technische Service (und gerade kein Support) verfügbar ist. Auch die gesamte Zeit, in der die Verfügbarkeit eines Service garantiert wird, wird mitunter als Servicezeit bezeichnet. Entsprechend problematisch sind daher die Diskussionen zwischen den Vertragsparteien.
Die Verträge enthalten in sich Unstimmigkeiten, weil verschiedene Abschnitte von verschiedenen Personen geschrieben werden, die Inhalte im Vorfeld nicht ausreichend abgestimmt wurden und eine abschließende, konsolidierte Qualitätssicherung gegenüber Vertrags- und Leistungsstandards fehlen. Ein typisches Beispiel sind Diskrepanzen zwischen den vereinbarten Service Level Targets (SLT) und den zu erstellenden Kundenberichten, die dann nicht alle Service Level Targets enthalten.
Schließlich führt die Orientierung am Einzelfall in der Regel zu Diskrepanzen zwischen verschiedenen Kunden, die sich einerseits in der Struktur der Dokumente niederschlagen und andererseits auch in den vereinbarten Service Level Targets. Im ersten Fall findet man die gesuchten Informationen im Vertrag nicht immer an der gleichen Stelle. Im zweiten Fall müssen alle Sonderfälle im Tagesgeschäft, z. B. in Form individueller Reports, berücksichtigt werden.
Die beschriebenen Problemfelder haben Auswirkungen auf die Effizienz, die Wirksamkeit, die Qualität und die juristische Unbedenklichkeit bei Serviceverträgen.
Typische Probleme, deren Auswirkungen und Lösungsansätze
Abbildung 1 zeigt die typischen Probleme, deren Auswirkungen und Lösungsansätze im Kontext von Serviceverträgen in Outsourcing-Situationen. Alle drei „Säulen” beeinflussen sich gegenseitig, da z. B. Auswirkungen zu neuen Problemen führen können oder die Intensität der vorliegenden Probleme die zutreffenden Lösungsansätze beeinflusst.
Abb. 1: Typische Probleme, deren Auswirkungen und Lösungsansätze im Kontext von Serviceverträgen in Outsourcing-Situationen
Aus unseren Erfahrungen lassen sich konkrete Anforderungen bzw. Lösungsansätze an Serviceverträge ableiten, die für alle Serviceverträge Geltung haben.

2 Allgemeine Anforderungen an Serviceverträge

2.1 Verwendbarkeit

Die Verträge müssen „verwendbar” sein, das heißt, sie müssen einerseits juristisch einwandfrei und eindeutig formuliert sein, andererseits aber auch für Nichtjuristen verständlich bleiben und möglichst prägnant sein, damit benötigte Informationen schnell gefunden werden können. Prägnante Darstellungen erfordern jedoch häufig die Verwendung von Fachbegriffen aus der IT oder einer bestimmten Domäne (bspw. der Energiewirtschaft), sodass sehr knappe Darstellungen wiederum nicht allgemein verständlich sind. Zu lange Erläuterungen von juristischen oder domänenspezifischen Fachbegriffen führen hingegen zu sehr langen Texten, die der Prägnanz und damit mittelbar der Verwendbarkeit der Verträge schaden.
Abwägen zwischen drei Zielen
Leider gibt es kein Patentrezept und keine allgemeingültige „optimale Balance”. Vielmehr muss jedes Unternehmen für sich die richtige Abwägung treffen zwischen den drei Zielen
Prägnanz,
juristische Unbedenklichkeit und
Verständlichkeit.
Maßnahmen und Auswirkungen
Gerade die juristische Seite wird gerne zurückgestellt, obwohl beim Bezug von IT-Services teilweise bedeutende juristische Fragestellungen aufkommen [1]. Abbildung 2 zeigt einige beispielhafte Maßnahmen und ihre Auswirkungen auf die drei erstrebenswerten, in Teilen gegensätzlichen Eigenschaften, die bei der Erstellung von Serviceverträgen abgewogen werden müssen. Sie verdeutlicht, dass üblicherweise nicht alle drei „Dimensionen” auf einmal verbessert werden können.
Abb. 2: Beispielhafte Maßnahmen und ihre Auswirkungen, die bei Erstellung von IT-Serviceverträgen abzuwägen sind

2.2 Korrespondenz von Servicevertrag und Servicekatalog

Services aus einem Servicekatalog (oder zumindest einer Sammlung von Standardbeschreibungen) sollten sich möglichst unverändert im Servicevertrag wiederfinden – oder es muss redundanz- und widerspruchsfrei darauf verwiesen werden. Das erleichtert die Erstellung der Verträge und reduziert die Arbeit, die sonst durch die Berücksichtigung von Sonderfällen im Tagesgeschäft entstünde.

2.3 Einheitlichkeit der Vertragsstrukturen

Inhaltlich und strukturell
Die Serviceverträge sollten über alle Kunden bzw. über alle Service-Provider (aus Sicht einer internen IT) hinweg möglichst einheitlich sein. Das bezieht sich sowohl auf die Struktur (gleicher Aufbau) als auch auf den Inhalt (dieselben Begriffsdefinitionen).
Erfahrungsgemäß ist es in der Praxis leichter zu „verschmerzen”, wenn strukturelle Abweichungen zwischen Verträgen existieren, als wenn es sich um inhaltliche Abweichungen handelt. In der Regel werden die Inhalte der Serviceverträge (insbesondere die Service-Level) in eigene Übersichten oder ITSM-Tools zusammengefasst, sodass die zugrunde liegenden Verträge nicht mehr so häufig zurate gezogen werden. Inhaltliche Abweichungen, z. B. hinsichtlich der Art der vereinbarten Service Levels, sind hingegen schwieriger zu handhaben, vor allem, wenn diese auch in nachgelagerten Prozessen oder Tools nicht standardmäßig abgebildet werden können.

2.4 Einheitlichkeit der Leistungsstrukturen

Insbesondere für Service-Provider sollten zudem die angebotenen bzw. zu erbringenden Leistungen möglichst homogen und an Marktstandards angelehnt sein (passender Leistungszuschnitt und gleichartige Service Level Targets). Nur so lassen sich entsprechende Synergie- und Kosteneinsparungseffekte realisieren. Insbesondere bei IT-Infrastrukturleistungen – virtuelle Server, Storage, Datenbanksysteme – sind die Leistungsbündel heutzutage gut vergleichbar und in hohem Maße standardisiert.

2.5 Einbindung in IT-Service-Management- und Unternehmensprozesse

Der Prozess zur Erstellung und Vereinbarung von Serviceverträgen muss sowohl in die IT-Service-Management-Prozesslandschaft als auch in die Unternehmensprozesslandschaft eingebunden werden. Insbesondere ist es wichtig, explizite Prüfungs- und Freigabeschritte für die fachlichen und kaufmännischen Inhalte des Vertrags zu etablieren.

3 Ansätze für eine optimale Vertragsstruktur

In diesem Abschnitt beschreiben wir einige Empfehlungen für die Vertragsgestaltung, die wir aufbauend auf konkreten, in der Praxis verwendeten Ansätzen in verallgemeinerter Form darstellen. Wir skizzieren, wie die allgemeinen Anforderungen an Serviceverträge aus dem vorigen Abschnitt in einer einheitlichen und konsistenten Vorgehensweise umgesetzt werden können. Zunächst erläutern wir Ansätze für eine optimale Vertragsstruktur basierend auf einem modularen Aufbau des Vertragswerks. Anschließend zeigen wir die Wichtigkeit einheitlicher Leistungsstrukturen auf und gehen auf die Einbindung in IT-Service-Management- und Unternehmensprozesse ein.

3.1 Modularer Aufbau des Vertragswerks

Modulare Vertragsgestaltung
Um einerseits den individuellen Anforderungen eines Outsourcing-Gebers und andererseits den Standardisierungsbestrebungen des Outsourcing-Nehmers gerecht zu werden, haben wir einen modularen Aufbau für das gesamte Vertragswerk für eine Geschäftsbeziehung entwickelt (siehe Abbildung 3).
Abb. 3: Modulares Konzept für Servicevertragswerke
Grundvertrag
Ausgangsbasis ist ein sogenannter Grundvertrag, der in der Regel vom Outsourcing-Geber vorgegeben wird und auf seinen AGB basiert; oft heißt er „IT-Outsourcing-Vertrag”, „IT-Betriebsvertrag”, „IT-Dienstleistungsvertrag” oder ähnlich. Dieser Vertrag gibt den allgemeinen Rahmen für die gesamte Geschäftsbeziehung vor (z. B. hinsichtlich Laufzeit und Kündigungsfristen, Haftung oder Geheimhaltungsvereinbarungen) und enthält keine detaillierten Festlegungen zu inhaltlichen Aspekten der Services. Es wird häufig Anlagen zum Grundvertrag geben, in denen z. B. Details zur Auftragsdatenverarbeitung (im Sinne des Datenschutzrechts) oder zum generellen IT-Sicherheitskonzept der Vertragspartner festgehalten werden.
Kunden-individueller Projektvertrag
„Einmalige” Individualleistungen, die nicht als Standardleistungen im Rahmen eines Servicekatalogs (oder vergleichbar) verzeichnet sind, werden durch individuelle Zusatzvereinbarungen spezifiziert. Hierbei handelt es sich in der Regel um kundenindividuelle Projektverträge.
Service Level Agreement (SLA)
Alle Standardleistungen hingegen werden pro Thema in ein Service Level Agreement (SLA) zusammengefasst. Das SLA besteht jeweils im Wesentlichen aus Servicescheinen, die dem Servicekatalog entnommen werden. Die Servicescheine beschreiben die zu erbringenden Standardleistungen, z. B. verschiedene Aspekte eines Service zur Bereitstellung von Arbeitsplatzhardware; wir gehen im folgenden Abschnitt näher auf sie ein.
Die Gliederung eines SLA ist immer gleich:
1.
Einordnung und Abgrenzung des SLA
2.
SLA-spezifische Regelungen
3.
Servicescheine (inkl. Zuordnung zu Service-Level-Klassen)
Nach einer kurzen Beschreibung zur Zielsetzung und inhaltlichen Einordnung des SLA in den Gesamtkontext des Vertragswerks können im zweiten Abschnitt SLA-spezifische Regelungen fixiert werden, die für alle vom SLA umfassten Services gelten. So können z. B. härtere Anforderungen an die Lösungszeiten für ein wichtiges ERP-System vereinbart werden, während für die meisten restlichen SLAs eine weniger anspruchsvolle Obergrenze gilt. Im dritten Abschnitt folgt dann eine Zuordnung der Servicescheine, die im Rahmen des Gesamtservice relevant sind, zu den anwendbaren Service-Level-Klassen (z. B. „bronze”, „silber”, „gold”) sowie eine Klarstellung, welche Vertragspartei bestimmte Assets bereitstellen oder Beistellpflichten erfüllen muss. Hier wird z. B. klargestellt, wer die Softwarelizenz für ein bestimmtes Applikationshosting stellt.
Dokument „Allgemeine Regelungen für SLAs”
Um die SLAs jeweils prägnant zu halten, werden alle themenübergreifenden Aspekte in ein Dokument Allgemeine Regelungen für SLAs ausgelagert. Dort werden alle Begriffsdefinitionen und Vereinbarungen zusammengefasst, die für alle SLAs gelten. Das Dokument beschreibt somit den „üblichen” Fall, während themen- oder servicespezifische Abweichungen bzw. Ergänzungen im jeweiligen SLA zu finden sind. Beispielsweise können im Rahmen der allgemeinen Regelungen Begriffe wie „Lösungszeit”, „Wartungsfenster” oder „Service Desk” definiert werden. Zudem können generelle Vorgehensweisen, z. B. in Bezug auf die Bearbeitung von Störungstickets, oder allgemeine Rechte und Pflichten, z. B. auch allgemeine Mitwirkungspflichten des Kunden, festgehalten werden. Außerdem ist es ein guter Ort für standardmäßige Bonus- und Malus-Regelungen sowie für die Vereinbarung übergreifender Leistungen nach den ITSM-Prozessen, die für alle SLAs gelten.
Grundbestandteile
Das Dokument mit den allgemeinen Regelungen sollte nach unserer Einschätzung zumindest die folgenden Aspekte umfassen:
Einleitung und Gültigkeit des Dokuments (gemeinsamer und verbindlicher Begriffs- und Interpretationsrahmen für serviceübergreifende Aspekte).
Kurze Definitionen für die in SLAs verwendeten Begriffe:
Kunde und Anwender,
Betriebszeit (Servicezeit) und Supportzeit,
Support und Service Desk,
Wartungsfenster und Betriebsunterbrechungen,
Verfügbarkeit (inkl. einer Beschreibung, wie und wo die Verfügbarkeit gemessen wird und wie die Zahlen im regelmäßigen Servicereport berechnet werden), Leistungsübergabepunkte (LÜP),
Service-Level-Klassen.
Behandlung von Serviceanforderungen und Kundenanfragen (keine Störungen).
Regelungen zur Behandlung von Störungen (Incidents), einschließlich:
Wie werden Störungen gemeldet und dokumentiert?
Wie werden Störungen priorisiert und bearbeitet?
Welche Obergrenzen gelten für die Reaktions- und Lösungszeit bei Störungen?
Mitwirkungspflichten des Kunden.
Weitere Regelungen, z. B.:
Allgemeine Regelungen zur Messung der Performance der Services
Besondere Vergütung (z. B. für Störungsbehebung von Incidents, die nachweislich durch den Anwender/Kunden verursacht wurden)
Bei Bedarf jeweils Bonus- und Malus-Regelungen für den Fall, dass vereinbarte Pflichten bzw. zu erbringende Service Levels durch den Provider oder den Kunden nicht erfüllt werden
Regelungen zum allgemeinen Service Reporting (Art und Inhalt des Berichts, Festlegung der zu betrachtenden Zeiträume für die Berichte (ggf. Trends), Übergabemodalitäten und Dateiformate)
Regelungen zur Qualitätssicherung (Tests) und zum allgemeinen Qualitätsmanagement
Haftungsregelungen
Regelungen in Bezug auf Katastrophenfälle (IT Service Continuity Management (ITSCM))
Wir empfehlen, zumindest bei Verträgen zwischen verschiedenen juristischen Personen, das Dokument mit den allgemeinen Regelungen durch einen (internen oder externen) Fachanwalt für IT-Outsourcing prüfen zu lassen. Ziel sollte sein, die geplanten Regelungen juristisch einwandfrei zu formulieren, ohne dabei zu viel juristische Fachsprache („Fachchinesisch”) hineinzubringen. Das Dokument ist dafür gedacht, unverändert allen SLAs beigefügt zu werden, um vertrags- und kundenübergreifend einheitliche Regelungen und Begrifflichkeiten zu schaffen; entsprechend sorgfältig sollte es erarbeitet werden.
Abrechnungsrelevante Aspekte sind in dem modularen Konzept an zwei Stellen zu finden. Allgemeine Festlegungen zur Abrechnung eines Service finden sich im Serviceschein. Dort sind z. B. Abrechnungsmodus, -prozess und -einheit (bspw. „monatlich pro Transaktion”) verzeichnet. Spezifische Festlegungen für einen Kunden, insbesondere der letztlich ausgehandelte Preis, werden in einem separaten Preisblatt zum SLA festgehalten.

3.2 Einheitlichkeit der Leistungsstrukturen

Neben der Einheitlichkeit der SLAs in Bezug auf die Struktur der Verträge und die Einheitlichkeit der Begriffsdefinitionen, die man wie im vorigen Abschnitt beschrieben erreichen kann, ist es wichtig, auch eine inhaltliche Einheitlichkeit der Verträge sicherzustellen. Sowohl der Leistungszuschnitt der angebotenen Services als auch die Service Level Targets, die in SLAs festgeschrieben werden, sollten über verschiedene Kunden hinweg möglichst einheitlich sein.
Service Portfolio ist die Basis modularer Verträge
Ein Service Portfolio – inkl. geeigneter Service-Portfolio-Management-Prozesse in Anlehnung an die ITIL – bildet das Rückgrat für einheitliche Leistungsstrukturen. Das Service Portfolio umfasst alle Services eines IT Service Providers und stellt die Konsistenz zwischen den Services sicher. Die Gesamtsicht auf das Service Portfolio erlaubt es, den Leistungszuschnitt aller Services, die verwendeten Begriffe und Formulierungen sowie die standardmäßig vereinbarten Service Level Targets zu vergleichen und konsistent zu halten.
Für konkrete Vertragsverhandlungen bildet das Service Portfolio – genauer gesagt der Servicekatalog – die Basis (siehe Abbildung 4). Für die Gespräche mit Kunden wird zu jedem relevanten Service ein Serviceschein erstellt, der die konkrete Ausgestaltung des Service dokumentiert. Der Serviceschein stellt alle vertragsrelevanten Aspekte eines Service prägnant dar. Dies bedeutet, dass Informationen in einer definierten Struktur in Form von Tabellen, Spiegelstrichlisten oder kurzen Texten dargestellt werden. Auf diese Weise wird eine möglichst komprimierte Darstellung erreicht, die trotzdem eindeutig und verständlich bleibt.
Bestandteile Serviceschein
Ein Serviceschein sollte zumindest die folgenden Informationen umfassen:
Metadaten wie eine eindeutige ID, Versionsinformationen, Gültigkeitsdaten
Prägnante Kurzbezeichnung
Service Owner
Kurzbeschreibung (2–4 Sätze)
Ausführliche Beschreibung (aus Kundensicht)
Abhängigkeiten zu anderen Services (unterstützte und ergänzte Services)
Kaufmännische Aspekte wie Verrechnungsmodus und -einheit sowie Listenpreis
Vereinbarte Service Levels, z. B. zugesicherte Mindest-verfügbarkeit oder Performance-Kennzahlen
Mitwirkungspflichten des Kunden
Ausführliche Liste der im Service enthaltenen (und evtl. der zusätzlich angebotenen) Tätigkeiten
In der internen Sicht auf den Servicekatalog werden natürlich oft noch weitere Informationen, wie interne Kosten, gepflegt, die aber im Rahmen dieses Artikels nicht weiter berücksichtigt werden. In der Abbildung 4 ist diese duale Sicht durch die Unterscheidung in Servicedefinitionen (vollständige Sicht) und Servicescheine (reduzierte Sicht für externe Adressaten) verdeutlicht.
Abb. 4: Das Service Portfolio im betrieblichen Kontext. Mögliche Ausgestaltung der Integration von Servicekatalog und Erstellung von Serviceverträgen
Wichtig ist noch zu beachten, dass im Service Portfolio Management auf die Abhängigkeiten zwischen Services geachtet wird und diese auch in den Servicedefinitionen dokumentiert werden. So müssen andere Services, die erforderliche Vorleistungen darstellen, klar aufgeschlüsselt werden. Aus der Vertriebssicht ist es zudem sinnvoll, auch nicht zwingend notwendige, ergänzende Leistungen zu dokumentieren. Ob die notwendigen Services für den Servicevertrag zu einem Gesamtservice verschmolzen werden oder ob stattdessen auf mitgeltende Servicescheine verwiesen wird, ist mehr oder weniger Geschmacksfrage. Kunden bevorzugen nach unserer Erfahrung tendenziell die erste Variante. Abbildung 5 stellt stark vereinfacht eine Hierarchie von Services am Beispiel eines SAP-HCM-Service dar.
Abb. 5: Vereinfachte Darstellung der Abhängigkeiten zwischen Systemen, technischen Services und Business Services am Beispiel eines SAP-HCM-Service
Einen konsistenten Servicekatalog vorausgesetzt, erhält man durch diese Vorgehensweise, bei der, wie im vorigen Abschnitt beschrieben, die Servicescheine als Hauptbestandteil von SLAs verwendet werden, insgesamt eine weitgehend konsistente Leistungsstruktur: Der Leistungszuschnitt der einzelnen Services und die vereinbarten Qualitätsmerkmale (Service Levels) sind für alle Kunden gleich (oder zumindest sehr ähnlich).
Service Pipeline
Ein weiterer wichtiger Baustein des Service Portfolio ist die Service Pipeline. Die Service Pipeline enthält alle zukünftigen Services in dem Status „Entwicklung”. Einerseits werden dort neue und innovative IT Services beschrieben und formalisiert erfasst. Anregungen für neue IT Services kommen häufig aus den Reihen der eigenen Mitarbeiter, werden durch den Kunden initiiert oder entstehen durch einen gut strukturierten Innovationsmanagementprozess.
Zum anderen werden in der Service Pipeline bestehende Services kontinuierlich weiterentwickelt, und zwar deutlich vor dem Ende ihres jeweiligen Lebenszyklus. Eine aktuelle, „marktreife” Version eines bestehenden IT Service sollte stets im Servicekatalog (z. B. Service A, Version 1.0, Status: aktiv) abgebildet sein. Gleichzeitig könnte der IT Service A in der Service Pipeline in die Version 2.0 in dem Status „in Entwicklung” aufgenommen werden. Der Service Owner des IT Service A entwickelt seinen Service in der Version 2.0 in enger Abstimmung mit den Kunden, den Kundenbetreuern, dem Vertrieb und/oder geeigneten technologischen Stakeholdern weiter. Sobald die neue Version 2.0 des IT Service A eine entsprechende „Marktreife” erlangt, wird der IT Service in den aktiven Servicekatalog übernommen. In der Pipeline wird eventuell gleichzeitig eine neue Version 3.0 des IT Service A im Status „in Entwicklung” erstellt. IT Services die nicht mehr benötigt werden, werden innerhalb des Service Portfolio als „retired Service” archiviert.

3.3 Prozessuale Verankerung

Die im vorigen Abschnitt beschriebenen Ansätze setzen allerdings eine vorhandene prozessuale Basis voraus, damit das notwendige Zusammenspiel von Fachabteilungen, IT Service Management und Vertrieb auch funktioniert. Denn nur durch das Zusammenwirken dieser Unternehmensbereiche lässt sich die gesamte Kette von der Definition der Services über die Erstellung der Serviceverträge bis hin zur Implementierung im Betrieb erfolgreich abbilden. Die Erstellung der Verträge muss daher in die IT-Service-Management-Prozesse eingebettet werden. Betroffen sind dabei vor allem drei ITIL-Prozesse (vgl. Abbildung 4):
Service Portfolio Management, das die Beschreibungen der standardisierten Services (Servicescheine) bereitstellt.
Service Level Management, das die Ausgestaltung und Verhandlung der Verträge (insbesondere der SLAs) sowie deren Umsetzung in der Organisation des Service Providers begleitet.
Service Reporting, das die Datenbasis schafft, um die Einhaltung der SLAs überwachen und nachweisen zu können.
Die genaue Ausgestaltung der Prozesse ist an dieser Stelle zweitrangig, da viele Besonderheiten des Unternehmens und seines Umfelds berücksichtigt werden müssen. Wichtig ist jedoch, dass explizite Freigabemechanismen existieren, um eine ausreichende Mindestqualität bei den erzeugten Verträgen sicherzustellen.
Dreifache Freigabe: fachlich, kaufmännisch, formell
Als vorgelagerte Aktivität im Service Portfolio Management müssen die Services im Service Portfolio definiert und durch die internen Leistungserbringer freigegeben werden. Die eindeutige Zuordnung eines Verantwortlichen pro Service, des sogenannten Service Owner, ist für den Erfolg dieser Schritte quasi Pflicht. Die inhaltliche Freigabe des Service umfasst auch die Servicescheine, die ja als Bestandteil der Kundenverträge verwendet werden. Gleichzeitig übernimmt der Service Portfolio Manager – eine Rolle, die in kleineren Unternehmen auch durchaus in Personalunion mit anderen Rollen vergeben werden kann – die Freigabe der Servicescheine in formaler Hinsicht, also z. B. in Bezug auf die Einhaltung von Designvorgaben. Zudem muss der kaufmännische Bereich (bzw. der Vertrieb) des Unternehmens eine Preiskalkulation durchführen und die Listenpreise freigeben. Dadurch ist insgesamt sichergestellt, dass die Servicescheine, die in der Regel sehr kurzfristig von Vertriebsmitarbeitern für eine Vorstellung bei einem Kunden angefordert werden, sowohl inhaltlich (fachlich wie kaufmännisch) als auch vom gesamten Erscheinungsbild den Mindestanforderungen des Unternehmens entsprechen. Lehnt eine der drei Freigabeinstanzen die Freigabe ab, muss ein überarbeiteter Entwurf des Servicescheins erstellt werden. Abbildung 6 fasst diesen (Teil-)Workflow grafisch zusammen.
Abb. 6: Vereinfachter Freigabeworkflow für Servicescheine, der auch im Kontext von Vertragsverhandlungen eingehalten werden sollte
Die Servicescheine werden in dieser Form auch als Grundlage für die ersten SLA-Entwürfe dienen. Im Rahmen der Verhandlungen wird sich aber häufig herauskristallisieren, dass bestimmte Ergänzungen oder Abweichungen von den Standardservices erforderlich sind. In diesem Fall werden die individuellen Vereinbarungen schriftlich festgehalten und wiederum in dreifacher Hinsicht intern freigegeben:
in fachlicher Hinsicht durch die internen Leistungserbringer;
in kaufmännischer Hinsicht durch den kaufmännischen Bereich;
in formaler Hinsicht durch den Service Level Manager (auch hier ist eine Personalunion, z. B. mit dem Service Portfolio Manager, denkbar).
Durch die Einbindung der betroffenen Unternehmensbereiche und die explizite, dreifache Freigabe ist üblicherweise eine hohe Qualität der endgültigen Dokumente gewährleistet.

3.4 Vorgehen zur Umsetzung des Konzepts

Empfehlungen
Nachdem das Konzept vom Prinzip her erläutert ist, möchten wir noch einige Empfehlungen zur Umsetzung geben.
Eine typische Hürde bei der Einführung von standardisierten Verträgen ist die Wahrnehmung auf Kundenseite. Gerade im Bereich von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) findet sich häufig die Auffassung auf Kundenseite, dass dem individuellen Charakter des Unternehmens nur durch individuelle Verträge und Services Rechnung getragen werden könne. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass der überwiegende Anteil der Anforderungen durch eine individuelle Zusammenstellung von Standardservices erfüllt werden kann. Der Bezug von Standardleistungen bedeutet gerade nicht automatisch, dass alle Kunden „über einen Kamm geschoren” werden; wie bei einem Lego-Modell entsteht stattdessen ein individuelles Gesamtpaket aus Standardbausteinen. Die tatsächlich notwendigen Individualleistungen („Spezialbausteine”) werden im Anschluss natürlich ebenfalls vertraglich fixiert, jedoch in deutlich verringertem Umfang. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, dem Outsourcing-Geber die Kostenvorteile eines Bezugs von Standardservices aufzuzeigen, denn die Standardleistungen sollten preislich deutlich attraktiver sein als individuelle Sonderwünsche. Wichtig ist es, zu verdeutlichen, welche Leistungen im Standard enthalten sind und welche Leistungen als individuelle Anforderungen hinzukommen.
Wird die Diskussion auf dem Niveau der Geschäftsprozesse des Outsourcing-Gebers geführt, so wird auf diese Weise erkennbar, welche Individualleistungen tatsächlich notwendig sind und welche „gefühlt individuellen” Leistungen im Rahmen von Standardservices erbracht werden können.
Die Umsetzung des vorgeschlagenen Konzepts bei Neukunden ist tendenziell unproblematisch und sollte offensiv verfolgt werden. Bei Bestandskunden ist die Umsetzung tendenziell schwieriger. Sollen neue Verträge mit bestehenden Kunden geschlossen werden, ist dies eine gute Gelegenheit, die neuen Vertragsstrukturen einzuführen. Dabei müssen natürlich die Kundenhistorie und möglicherweise noch parallel existierende Verträge mit dem Kunden berücksichtigt werden. Je nachdem, wie gut die Kundenbeziehung ist, bietet es sich aber auch an zu versuchen, die neuen Strukturen aktiv umzusetzen. Die Transformation von bestehenden Verträgen sollte hingegen behutsam angegangen werden. Oft bietet es sich an, auf konkrete Anlässe zu warten, bei denen Unzulänglichkeiten der bestehenden Verträge deutlich werden. In einer solchen Situation kann man dann vorsichtig darüber sprechen, bestehende Verträge in die neuen Strukturen zu überführen.
Schließlich ist auch darauf zu achten, dass alle internen Stakeholder frühzeitig in den Aufbau des Service Portfolio und die Vertragsverhandlungen eingebunden werden. Das betrifft natürlich den Vertrieb, aber insbesondere auch die internen Leistungserbringer, die im Endeffekt für die vereinbarten Service Level Targets einstehen müssen.
Checkliste für die Vertragsgestaltung
Nachfolgend sind die wichtigsten Elemente einer erfolgreichen Vertragsgestaltung beim IT-Outsourcing in Form einer kurzen Plausibilitätscheckliste noch einmal zusammengefasst:
Ist der Leistungsgegenstand eindeutig abgegrenzt?
Gibt es unterstützende Services als notwendige Voraussetzung oder optionale Ergänzungen? Sind benötigte Vorleistungen Bestandteil des Service oder gibt es entsprechende weitere Regelungen?
Sind Begrifflichkeiten eindeutig definiert?
Verfügbarkeit, Leistungsübergabepunkte
Service-, Betriebs- und Supportzeiten, Wartungsfenster
Ticketbearbeitungszeiten (Reaktions- und Lösungszeiten)
Haben Services eine Laufzeit (Beginn und Ende)?
Existiert ein Service Portfolio inkl. Service Pipeline und Servicekatalog?
Existieren saubere und konsistente Prozesse rund um Service Portfolio Managament, Service Level Management und Service Reporting und sind die Verantwortlichkeiten eindeutig geklärt? Sind die Prozesse zwischen den Vertragsparteien klar kommuniziert bzw. abgestimmt?
Sind die Vertragswerke in einem möglichst angemessenen Verhältnis zu den grundsätzlichen Eigenschaften von Vertragswerken strukturiert (d. h. prägnant, juristisch unbedenklich, allgemein verständlich)?

4 Fazit und Ausblick

Die hier beschriebenen Ausführungen zur optimalen Vertragsgestaltung von Serviceverträgen beim IT-Outsourcing basieren auf Erfahrungswerten sowohl aus der Sicht externer und interner IT Service Provider als auch aus Sicht interner IT-Abteilungen. Fehlende Richtlinien bzw. Best Practices rund um Begriffsdefinitionen, Vertragsstrukturen, Leistungsstrukturen etc. sorgen für eine konstant hohe Heterogenität von Vertragsstrukturen zwischen Marktpartnern. Dies hat wiederum häufig signifikante negative Auswirkungen auf die Organisationseffizienz, die Wirksamkeit und juristische Unbedenklichkeit von Serviceverträgen und aufgrund von Kommunikations- und Informationslücken auch auf die wahrgenommene Servicequalität.
Die oben beschriebenen Ausführungen zu Vertragsstrukturen, Leistungsstrukturen und zur Prozessintegration sind sicherlich gute erste Schritte, um die genannten Defizite dauerhaft zu minimieren. Jedoch agieren die allermeisten Unternehmen in einem dynamischen Umfeld mit kontinuierlichen Wechseln von Outsourcing-Geber und Outsourcing-Nehmer. In diesem Kontext entstehen aufgrund der fehlenden Best Practices bzw. fehlender Standards immer wieder Transaktionskosten für die mühsame Abstimmung u. a. von Begriffsdefinitionen, Vertragsstrukturen und Leistungsstrukturen.
Existierende Best Practices wie die ITIL bleiben insbesondere in diesem Kontext zu abstrakt und damit weitgehend wertlos. Aus unserer Sicht ist es wünschenswert, dass eine unabhängige Institution wie z. B. das itSMF (IT Service Management Forum) oder Branchenverbände wie der Verband kommunaler Unternehmen (VKU, als Beispiel für die Energiewirtschaft) allgemeingültige, möglicherweise auch auf spezifische Branchen beschränkte Empfehlungen zu Vertragsstrukturen und Begriffsdefinitionen erarbeitet. Erste Ansätze in dieser Richtung finden sich z. B. in den Sourcing-Positionspapieren des itSMF. Bis dies in ausreichender Detailtiefe erfolgt sein wird, müssen Unternehmen sich behelfen, z. B. indem sie sich an den hier vorgestellten Lösungsansätzen orientieren.

Quellen

1
Vossen, G.; Haselmann, T.; Hoeren, Th.: Cloud-Computing für Unternehmen. Technische, wirtschaftliche, rechtliche und organisatorische Aspekte. dpunkt.verlag, Heidelberg, 2012, S. 143–174.
 

Weiterlesen und „IT-Servicemanagement digital“ 4 Wochen gratis testen:

  • IT-Servicemanagement nach ISO 20000, IT Governance und IT Compliance
  • Zugriff auf über 220 Fachbeiträge und 160 Arbeitshilfen
  • Onlinezugriff – überall verfügbar


Sie haben schon ein Abonnement oder testen bereits? Hier anmelden

Ihre Anfrage wird bearbeitet.
AuthError LoginModal